Thüringer Judokas graben unter Tage nach dem (weißem) Gold
„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen!“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Sollte es zutreffen, dann wird das ein langer Bericht werden und ich denke, dass es zutrifft.
Das 20. Internationale Judo-Turnier in den Salzmienen des im Südosten Polens gelegenen Bochnias stand vor der Tür. Am 17. und 18. Juni 2017 wollte es eine Delegation Thüringer Judokas allen zeigen. Zum zweiten Mal nach 2012 trat der SV 1883 Schwarza den langen Weg in unser westslawisches Nachbarland an. Mit den Recken des JC Jena, welcher den Partner von vor fünf Jahren, den JSC Stotternheim, ersetzte, wurde diesmal das schlagkräftige Team Thüringen gebildet, welches als einzige deutsche Mannschaft die schwarz-rot-goldenen Farben würdig vertreten sollte. Die Zeit war reif, wir hatten wieder U11- und U13-Kämpfer, welche die Lust nach Unbekannten trieb. Oder mit den Worten von Schwarzas Cheftrainer Stefan Giller: Welche den Willen und die Fähigkeiten haben, in Bochnia mitzuhalten.
Was lag dem also näher als endlich aufzubrechen? Nach der Vorarbeit von Cheforganisator Matthias Herlitze und der Zuhilfenahme unserer polnischen Vereinskollegen Piotr und Jonas Deregowski als Dolmetscher rollte zwei Tage vor Turnierbeginn schließlich ein Reisebus auf der Bleichwiese in Rudolstadt ein.
Noch ein Zwischenstopp in der Stadt des Carl Zeiss, unsere Freunde eingeladen und ab dafür mit ein paar Dutzend Mann gen Osten. Circa 12 Stunden später war das Ziel erreicht. Als erstes stand natürlich das einchecken im Hotel und das erkunden dieses auf dem Plan. Aus Schwarzas Sicht hatte die Unterbringung keinerlei Mängel aufzuweisen, für alle war gut gesorgt.
Mittags wurde sogleich eine dreigängige, leckere Mahlzeit eingenommen. Es gab einen Tisch inklusive Menü für die Kinder und Jugendlichen, sowie einen für die Erwachsenen.
Doch auch die Stadt hatte viel zu bieten. Es wurde geshoppt sowie das örtliche Schwimmbad von den jungen Kämpfern und einigen Betreuern aufgesucht. Die Badekappen-Vorschrift löste großes Gelächter aus, offenbar gaben unsere Mannen ein stylisches Bild ab. Zum Abend wurde als krönender Abschluss des ersten Tages, Freitag, des Puffer-Tages vor dem Turnier sozusagen, eine örtliche Pizzeria mit 34 Mann gestürmt. Nach wohlschmeckenden XXL-Pizzen wurden die Kinder und Jugendlichen dann sogleich in die Betten verbannt, während die Erwachsenen den Abend in geselligem Beisammensein auf der hoteleigenen Bowlingbahn ausklingen ließen – Bowlen in Polen könnte man sagen. Dennoch gingen die letzten beiden Thüringer noch vor Anbruch des neuen Tages auf ihre Zimmer, da der erste Turniertag seine Schatten voraus warf und ein frühes Aufstehen erforderte.
Frühs wurde den Gästen ein relativ umfangreiches Frühstücks-Büffet serviert.
Danach, noch vor Turnierbeginn 11 Uhr am Samstag, fuhren sie mit einem alten Bergarbeiter-Lift 250 Meter in die Tiefe. 5 Mann pro Kabine. Und die Kabinen waren eng. Trotzdem konnten alle heil unten ankommen. In gut ausgebauten, beleuchteten und mit grobem Holz-Parkett laminierten Höhlen, welche neben Imbissständen und sanitären Anlagen sogar Übernachtungsmöglichkeiten boten, wurde auf fünf ausgelegten Matten in zwei „Hallen“ gekämpft.
Der erste Wettkampftag gehörte quantitativ den Jenaern. Während die Schwarzaer den zweiten vereinnahmten. Qualitativ konnten sich beide vereinte Vereine gegen starke Konkurrenz aus ca. einem Dutzend Länder ganz Europas durchsetzen, da sportlich am Ende so einiges zu Buche schlug.
In zahlreichen Fights all‘ unserer Kämpfer sammelten wir viel Respekt und Prestige. Das lässt sich auch mit konkreten Zahlen belegen. In unterschiedlich aufbereiteten Alters- und Gewichtsklassen konnten unterschiedliche Leistungen gezeigt werden. Kevin Maurer holte sich mit zwei Siegen und zwei Niederlagen den neunten Platz. Er zeigte dabei sehenswerte Techniken, ein gutes Durchsetzungsvermögen und eine große Kampfstärke. Mit mehr Geduld wäre auch mehr möglich gewesen. Baldur Senze gewann dreimal, während er zwei Niederlagen verkraften musste. Das war der fünfte Platz. Er lieferte mit variablen und sauberen Techniken einen starken Wettkampf. Ebenso auf Platz fünf landete Maxim Konkin. Er gewann dreimal, wobei er nur einmal verlor. Danach schied er leider verletzungsbedingt aus. Da Maxim allerdings mit unterschiedlichen Techniken auf volle Punkte gewann, und das mit lehrbuchreifen Techniken, wäre die Bronzemedaille mit mehr Willensstärke auch bei Schmerzen drin gewesen. Sehr schade! Aaron Dathe machte es derweil Baldur und Maxim platztechnisch gleich. Mit drei Siegen und zwei knappen Niederlagen wurde auch er fünfter. Aaron zeigte sich in diesem Wettkampf stark. Seine Gegner wogen teilweise vier Kilogramm mehr als er, da Aaron 38,4 Kilo auf die Waage brachte und bis 42 Kilo gekämpft wurde, der Grund war die Einteilung der gewichtsnahen Klassen. Trotzdem muss er seine Fassart noch konsequenter durchsetzen und seine Platzwechsel weiter verbessern, vor allem bei längeren Kämpfen. Rabea Schmidt gewann einen Kampf, gegen zwei verlorene und bei einem Freilos. Das reichte am Ende ebenfalls für den fünften Platz. Sie zeigte eine starke Gegenwehr und einen guten Griff. Leider waren ihre Techniken und Platzwechsel noch zu unsauber. Als letzter fünftplatzierter ist Eddie Frenzel ins Feld zu führen. Er verlor leider seine beiden Kämpfe, da er seinen Griff nicht dominant genug umsetzte und nicht aggressiv genug kämpfte. Auch muss er sich in Zukunft stärker auf das Turnier fokussieren. Elisabeth Kretschmar hingegen konnte sich auf Platz vier behaupten. Sie verlor ihren einzigen Kampf und schied danach verletzungsbedingt aus. Obwohl sie stark gekämpft hatte, machte ihr die Verletzung leider einen Strich durch die Wettkampf-Rechnung. Auch Jonas Kreuder landete mit drei Niederlagen auf dem Rang der Holzmedaille. Trotz unschönen Misserfolgen in den Kämpfen ist er immer wieder „aufgestanden“. In Zukunft muss Jonas allerdings eine aktivere Kampfweise zeigen und seine Techniken sauberer vollziehen. Also üben, üben, üben. Darüber hinaus sollte er sich auch mit dem Regelwerk intensiver vertraut machen. Drei Thüringer Judokas landeten in Bochnia auf Medaillen-Rängen. Carl Then vom JC Jena erreichte nach einem Sieg und zwei Niederlagen Bronze. Er zeigte saubere Techniken, wenngleich ihm am Ende leider die Physis fehlte. Auch den Griff muss er noch konsequenter umsetzen. Die Schwarzaerin Ylvi Schust durfte sich nach zwei Siegen und einer Niederlage über Silber freuen. Sie ist physisch stabiler geworden und das neue Kampfkonzept wird gut umgesetzt. Ihre Platzwechsel funktionieren jetzt besser. An ihrer Psyche muss sie jedoch noch weiter arbeiten. Als krönender Abschluss kann die ansehnliche Goldmedaille von der Jenaerin Miu Richter betrachtet werden. Sie hatte drei Kämpfe und siegte dreimal! Variabel, mit starkem Durchsetzungsvermögen und sehenswerten Ippons machte sie sich einen Namen. Aber kein Licht ohne Schatten: Ihren Griff muss sie noch dominanter umsetzten.
Paul Appelt, Leo Eggert, Leon Tamaschke, Valentin Nold, Mathilda Brosig, Lotta Bösemann, Jannik Müller, Yanai Getselev und Nelo Steinberg konnten sich leider trotz guter Kämpfe noch nicht vorne platzieren. Für alle war es dennoch ein besonderer und denkwürdiger Ausflug in das Reich des weißen Goldes.
Unterm Strich haben die Thüringer Judokas gut vorne mitgehalten und erwirkten sich somit zurecht die blinkende „Medaillen-Ampel“ und viele neue Eindrücke und hilfreiche Erlebnisse, welche vielleicht als das <Salz> in der Suppe ihrer sportlichen Laufbahn, zumindest bis jetzt, gewertet werden könnten.
Doch nicht nur sportlich ging es in den Mienen heiß her, auch wurden aufregende Führungen angeboten. Mit zahlreichen liebevoll eingerichteten und kindgerechten Visualisierungen wurde die Geschichte des Salzes in Bochnia, die Bergarbeiten und die frühere gesellschaftliche Bedeutung des Salzes erklärt. Auch die Bergarbeiter-Kathedrale unter Tage in den Salzmienen wurde besucht. Sie ist die einzige Kathedrale der Welt durch die Schienen führen. Denn auch ein kleiner Personenlastzug stand bereit, um die Besucher durch die Mienen zu chauffieren. Er hatte den Namen „Cuba“ und wurde nach dem letzten Pferd benannt, welches relativ am Ende des 20. Jahrhunderts noch in den Mienen arbeitete.
Nach der Führung und den vielen Stunden 250 Meter unter der Erde und nachdem der ein oder andere auch mal von dem Salz gekostet hatte, welches oft die Form von Blumenkohl hatte, wurden die Höhlen über die Lifte wieder verlassen und die Heimfahrt stand an. An dieser Stelle soll das in der ersten Zeile dieses Artikels genannte Sprichwort: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen!“ abgeändert werden in: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben!“
Mit Boxenstoppen dauerte es über 20 Stunden, bis alle wieder daheim waren. Das hatte zwei zentrale Gründe: Zum einen blieb der Bus in der Nacht zum Montag, 2 Uhr morgens, auf der Autobahn in Polen liegen. Die Kupplung war defekt. Der Ersatzbus kam drei Stunden später und alle mussten mit Sack und Pack umsteigen. Zum anderen stand die Truppe vor der deutschen Grenze, aufgrund von Kontrollen wegen des G20-Gipfels heuer in Hamburg, weitere Stunden im Stau. Vom Standstreifen in den Stau und das nach 50 Metern war die Analyse! Und auch in Sachsen angekommen war uns Fortuna nicht hold, denn zwischen Görlitz und Dresden erlebten wir weitere Stau-Stunden. Allerdings wurde die Wartezeit durch Schlafen und das Ansehen von drei Filmen kompensiert, zumindest zu großen Teilen. Die gute Stimmung nach dem schönen Bochnia-Ausflug ließen sich die meisten Fahrer jedenfalls nicht vermiesen. Zuhause angekommen hatte dann auch zugleich ein jeder die Möglichkeit, die Strapazen auf seine Art und Weise abzubauen.
Das Erlebnis war cool und unvergesslich. Es hat viel Spaß und Freude bereitet. Eine internationale Jugendbegegnung wurde dabei praktiziert. Eine neue Kultur wurde kennengelernt und ein Austausch mit polnischen Sportlern fand statt. Auch konnten sich Jung und Alt mal richtig erholen, raus aus dem Alltag und einfach mal entspannen. Die Jugendlichen und Kinder haben sich außerdem weitergebildet, indem außerschulisches Lernen gefördert sowie Kompetenz- und Werteerwerb verbucht werden durfte. Eine Erlebnispädagogik wurde in Polen gelebt und die Teambildung gestärkt. Des Weiteren wurde, wie bereits erwähnt, neues Wissen über Bergbau erworben. In der Jugendverbandsarbeit haben wir erfolgreich mit anderen Vereinen zusammengearbeitet. Die Partizipation unserer Leute gestaltete sich derart, dass erfahrene Reise-Teilnehmer wie Stefan Giller oder Piotr Deregowski als Multiplikatoren dienten und junge Ehrenamtliche wie Matthias Herlitze oder David Keller die Möglichkeit zur Profilierung hatten und nutzten. Außerdem wurden Jugendliche eingesetzt, die sich in der sportlichen Jugendarbeit engagieren und damit erste Leitungserfahrungen sammeln konnten. Genauso fand eine Begleitung, Unterstützung und Betreuung durch weitere junge und ältere Ehrenamtliche statt, was ein vollständiges und rundes Bild abgibt. In der Jugendsozialarbeit hatte die intensive Förderung der Wertevermittlung im Sport (im besonderen Ehrlichkeit, Respekt, etc. – die Judowerte) oberste Priorität und das Bewusstsein des olympischen Gedankens wurde gestärkt: Dabeisein, Integration, Entwicklung sozialer Kompetenz und Förderung stehen immer vor sportlichen Leistungen!
Bochnia war also eine rundum gelungene und besondere, da auch nicht alljährliche, Maßnahme, die vielleicht in näherer Zukunft nochmal von Thüringer Judokas aus Schwarza oder Jena besucht werden wird, denn wert ist sie es allemal.
Geschlossen werden soll nun mit einem Zitat von Thomas Jefferson, dem hauptsächlichen Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und dem dritten Präsidenten der USA: „Nichts ist mühsam, was man willig tut!“ In dem Sinne auf zu neuen Ufern! Hajime!
20./21./22.06.2017
Welf Kerry Schauseil/Matthias Herlitze/Stefan Giller